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Zur Tragweite eines Pflichtteilsverzichts, dessen Höhe sowie eines Zurückbehaltungsrechts des Erben gegenüber dem Pflichtteilsberechtigten (OLG Oldenburg, Urteil vom 23.06.2021)

In der vorbezeichneten Entscheidung hatte die Mutter ihrer Tochter zu Lebzeiten eine Immobilie zu Eigentum übertragen. Im notariellen Übertragungsvertrag verpflichtete sich die Tochter zur Zahlung eines lebenslangen Baraltenteils von monatlich 600,00 DM an ihre Eltern als Gesamtberechtigte. Die Übertragung erfolgte nach dem Vertrag „unentgeltlich, jedoch in Anrechnung auf Pflichtteilsansprüche“ der Tochter im Hinblick auf den Nachlass der Eltern.

Die Eltern setzten sich wechselseitig zu Alleinerben ein. Die Mutter verstarb zuerst. Der Vater hatte eines seiner Enkelkinder zum Alleinerben wirksam testamentarisch bestimmt.

Die Tochter verklagte daraufhin das Enkelkind auf Zahlung ihres Pflichtteils. Das Enkelkind verweigerte die Zahlung des Pflichtteils zunächst mit der Begründung, dass sich die Pflichtteilsberechtigte die Schenkung ihrer Mutter auf ihren Pflichtteilsanspruch nach dem Tode des Vaters anrechnen lassen müsse. Die Tochter vertrat die Auffassung, dass sie die Immobilie von ihrer Mutter geschenkt bekommen habe und daher eine Anrechnung auf den Pflichtteilsanspruch nach dem Tod des Vaters nicht in Betracht käme.

Das OLG gab jedoch insoweit dem Enkelkind Recht. Zwar gilt im Pflichtteilsrecht grundsätzlich der enge Erblasserbegriff. Allerdings war das OLG der Auffassung, dass aufgrund der entsprechenden Formulierungen im Übertragungsvertrag sich die Pflichtteilsberechtigte den Vorempfang der vorverstorbenen Mutter nach dem Vater wegen der entsprechenden Formulierungen im notariellen Vertrag anrechnen lassen müsse. Der Fall zeigt, wie wichtig die genaue Formulierung derartiger Pflichtteilsverzichte zur Vermeidung späterer Auslegungsfragen ist.

Nach § 2315 Abs. 2 BGB wird der Pflichtteilsanspruch errechnet, indem der Wert der anrechnungspflichtigen Zuwendung dem Nachlass hinzugerechnet wird. Der so erhöhte Nachlasswert wird mit der Pflichtteilsquote multipliziert. Der Wert der Schenkung wird dann von diesem Betrag abgezogen.

Die weitere Problematik in dem Fall des OLG lag darin, dass der Erbe sich nicht in der Lage sah, den Wert des Pflichtteils zu errechnen, weil die Pflichtteilsberechtigte Auskünfte über die wertbildenden Faktoren der ihr geschenkten Immobilie verweigerte. Er berief sich daher auf ein Zurückbehaltungsrecht gegenüber dem Zahlungsanspruch der Pflichtteilsberechtigten (§ 273 BGB). Auch diesbezüglich gab das OLG dem Erben Recht, da der Pflichtteilsberechtigte insoweit die sekundäre Darlegungslast trägt. Der Pflichtteilsberechtigte muss also den Erben in die Lage versetzen, den Wert des Vorempfangs zu berechnen oder ihn mindestens nachvollziehen zu können.

Rechtsanwalt Lücker aus Aachen, Fachanwalt für Erb- und Familienrecht, steht Ihnen nach vorheriger Terminvereinbarung per Telefon oder E-Mail für eine Erstberatung im Erbrecht zur Verfügung.

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